Chronischer Tinnitus: Wenn das Geräusch im Ohr bleibt

Frau mit chronischem Tinnitus kommt nicht zur Ruhe.

Knapp vier Millionen Deutsche leiden an Tinnitus.1 Nicht bei jedem hört das Rauschen, Zischen oder Brummen wieder auf – viele Betroffene leiden ständig darunter. Auch wenn es bisher keine universelle Therapie gibt, um dauerhaften Tinnitus zu heilen: Patienten sind dem Dauerton nicht hilflos ausgesetzt.

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Was ist chronischer Tinnitus?

Bei einem Tinnitus nehmen Betroffene durchgängig ein leichtes Rauschen, Klingeln oder Pfeifen wahr, gerade wenn absolute Stille herrscht. Manchmal treten die Ohrentöne unvermittelt auf und verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Das ist aber nicht immer der Fall. Für etwa 2,7 Millionen Menschen in Deutschland sind die Geräusche ständiger Begleiter.2 Je nach Dauer unterscheiden Mediziner zwischen einem:3

  1. akuten Tinnitus: weniger als drei Monate
  2. subakuten Tinnitus: zwischen drei und sechs Monaten
  3. chronischen Tinnitus: mehr als sechs Monate

Die gute Nachricht: Auch ein chronischer Tinnitus ist kein unabwendbares Schicksal, denn ob der Tinnitus gehört wird oder stört, hängt vor allem von dessen Verarbeitung im Bereich der Hörbahn ab. Und die lässt sich auch nach längerem Bestehen noch so beeinflussen, dass der Tinnitus immer mehr in den Hintergrund tritt.

Vor allem mit einer kognitiven Verhaltenstherapie kannst Du diese unterbewusst ablaufenden Reaktionen auf das Ohrgeräusch positiv beeinflussen. Wissenschaftliche Studien zeigen hier eine deutliche Besserung der Beschwerden, auch wenn der Tinnitus schon viele Jahre besteht.

Mögliche Begleitsymptome bei einem dauerhaften Tinnitus


Der Leidensdruck bei einem chronischen Tinnitus ist individuell sehr unterschiedlich und vor allem vom Stresslevel und der emotionalen Bewertung abhängig. Einige Betroffene registrieren die Begleittöne zwar, kommen damit im Alltag aber gut zurecht (kompensierter Tinnitus). Andere Menschen wiederum leiden so stark unter den dauerhaften Ohrgeräuschen, dass weitere psychische und körperliche Beschwerden auftreten (bis hin zum dekompensierten Tinnitus).

Mögliche Folgen sind:

  • Erschöpfung
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Schlafstörungen
  • verminderte Leistungsfähigkeit
  • allgemeine Geräuschüberempfindlichkeit

Zudem gehen Experten davon aus, dass sich chronischer Tinnitus und Angststörungen oder Depressionen gegenseitig verstärken.

Tinnitus: So stellt der Arzt die Diagnose

Hörst Du ein ständiges Piepen oder Pfeifen im Ohr? Dann solltest Du rechtzeitig einen Facharzt aufsuchen, um einen chronischen Tinnitus zu vermeiden. Aber was erwartet Dich beim Arzt?

Wie entsteht ein chronischer Tinnitus?

In einem schalldichten Raum hört jeder Mensch Ohrgeräusche. Diese zum Beispiel durch Strömen des Blutes und den eigenen Herzschlag erzeugten Geräusche werden im Alltag nur von der Hörverarbeitung unterdrückt. Auch defekte Sinneszellen im Innenohr führen zu irregulären Erregungen im Bereich der Hörbahn, die als Ohrgeräusch wahrgenommen werden können.

Vor allem drei Situationen führen dazu, dass die Hörverarbeitung diese Geräusche nicht mehr herausfiltert und es in der Folge zu einem hörbaren Tinnitus kommen kann:

  • plötzlicher Hörverlust (wenn die Sinneshärchen im Innenohr vorübergehend oder dauerhaftgeschädigt sind)
  • Stress
  • Verspannungen der Kiefer- und Nackenmuskulatur

Diese Faktoren führen dazu, dass Betroffene die Geräusche bewusst wahrnehmen. Anders als lange angenommen, entsteht die Wahrnehmung folglich nicht im Ohr selbst, viel mehr erklärt sie sich durch eine fehlerhafte Signalverarbeitung des Gehirns. Selbst wenn der Hörnerv durchtrennt wird (veralteter operativer Eingriff im Rahmen der Behandlung), bleibt der Tinnitus bestehen. Deshalb sollte die Therapie im chronischen Stadium an der Hörverarbeitung ansetzen und darf sich nicht auf das Innenohr fokussieren.

Die Entstehung von chronischem Tinnitus und Möglichkeiten der effektiven Behandlung erklärt HNO-Arzt und Tinnitus-Experte Dr. Uso Walter im kurzen Video:

Gut zu wissen:

Selten lässt sich mit absoluter Gewissheit ein einzelner Auslöser hinter dem Tinnitus feststellen. Vielmehr ist es in der Regel eine Kombination verschiedener Faktoren. Da es sich bei den Hörverarbeitungsstörungen, die zum Tinnitus führen, grundsätzlich um beeinflussbare Prozesse handelt, gibt es aber auch bei einer chronischen Art des Tinnitus Behandlungsmöglichkeiten.

Was kannst Du gegen chronischen Tinnitus tun?

Chronischer Tinnitus ist vor allem ein Filterproblem der Hörverarbeitung. Das Problem dabei ist, dass der Tinnitus Stress auslöst und dies die Hörverarbeitung immer durchlässiger werden lässt. Kommt dann noch eine starke negative Bewertung hinzu, nimmst Du den Tinnitus wichtig, was wiederum wichtige Geräusche ebenfalls von der Hörverarbeitung bevorzugt verstärkt. Zwei Teufelskreise, die es zu unterbrechen gilt.

Dies gelingt am besten mit drei Taktiken:

  1. Aufmerksamkeit vom Tinnitus weglenken:
    Dazu gehören unter Umständen auch akustische Ablenkungen mit angenehmen Hintergrund- oder Naturgeräuschen. Bei einer Schwerhörigkeit gehört hierzu aber auch eine Hörverbesserung mit Hörgeräten. 
  2. Entspannungsmaßnahmen und Reduktion von Stressreaktionen:
    Stress wirkt wie ein Lautstärkeregler für den Tinnitus. Je angespannter oder verspannter man ist, desto lauter wird der Tinnitus, da die Hörverarbeitung immer weniger Störgeräusche herausfiltert.
  3. Akzeptanz des Tinnitus:
    Eine Heilung des chronischen Tinnitus durch Medikamente ist nicht möglich. Je weniger emotional man auf den Tinnitus reagiert, desto unwichtiger wird er und desto schneller filtert die Hörverarbeitung ihn weg.

Kognitive Verhaltenstherapie: Einstellung und Erwartungen ändern

Da vor allem Stress- und emotionale Reaktionen unterbewusst ablaufen und nicht willkürlich beeinflusst werden können, ist eine kognitive Verhaltenstherapie beim chronischen Tinnitus das Mittel der Wahl. Mit ihrer Hilfe können Betroffene sich Strategien aneignen, mit denen sie die Ohrgeräusche besser bewältigen oder gar nicht mehr wahrnehmen.

Die aktuelle Leitlinie spricht eine klare Empfehlung für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) aus.2 Mithilfe verschiedener Techniken lernen Betroffene, ihre unterbewussten Reaktionen auf den Tinnitus zu erkennen und in ihrem Sinne positiv zu verändern. Dazu gehören vor allem Taktiken zur Aufmerksamkeitslenkung, Entspannung und Akzeptanzentwicklung. Durch die Reduktion von Stress und den Aufbau von Ressourcen reduziert sich Schritt für Schritt der Leidensdruck und der Tinnitus tritt zunehmend in den Hintergrund.

Neben der Verhaltenstherapie spielt auch die Behandlung von Begleitbeschwerden wie Schlafstörungen, Angststörungen, Depressionen oder Kiefergelenksproblemen eine wichtige Rolle.

Tipp: Wenn Du unter einem chronischen Tinnitus leidest, erstattet Dir die gesetzliche Krankenkasse eine mobile kognitive Verhaltenstherapie. Nutze die von HNO-Ärzten und Psychologen entwickelte Kalmeda Tinnitus-App, die Du Dir auf Rezept ohne Zuzahlung verschreiben lassen kannst.

Counseling

Außerdem ist die ausführliche Aufklärung über den Tinnitus und seine Behandlungsmöglichkeiten entscheidend (Counseling). Diese Beratung führt der HNO-Arzt idealerweise schon Arzt nach der erforderlichen Diagnostik durch. Danach sollte sie in einen individuellen Therapieplan münden, der die oben genannten Bausteine enthalten kann.

Geräuschtherapie: Akustische Ablenkung

Viele Tinnitus-Patienten nehmen ihre Geräusche verstärkt dann wahr, wenn es besonders still in ihrer Umgebung ist. Angenehme Hintergrund- oder Naturgeräusche sind dann geeignet, den Tinnitus bzw. den chronischen Tinnitus zu neutralisieren und die Aufmerksamkeit von ihm wegzulenken. Die Idee: Das Gehirn vergrößert das Hörangebot und erschwert so das Erkennen der Tinnitus-Geräusche.

Hierbei kommen verschiedene Möglichkeiten infrage:

  1. Noiser: Sie werden wie ein Hörgerät hinter den Ohren getragen und erzeugen ein leises Gegengeräusch. Auch eine Kombination mit Hörgeräten ist möglich.
  2. Alltagsgeräusche: Das Brummen eines Druckers oder Kühlschranks, ein offenes Fenster, leise Hintergrundmusik oder ein Spaziergang durch die Natur bieten vielfältige Geräusche, die vom Tinnitus ablenken und das Stresssystem herunterfahren.
  3. Sounddateien: Klänge auf dem Computer oder Smartphone, wie Meeresrauschen, Herbstwind oder ein Wasserfall, sollen den Tinnitus maskieren.

Die Therapie kann in Einzelfällen zumindest zeitweise eine Verbesserung erzielen, jedoch bringt sie keine dauerhafte Besserung. Andere akustische Verfahren konnten in Studien ebenfalls keinen dauerhaften Effekt nachweisen.

Entspannung – von innen und außen

Tinnitus bzw. chronischer Tinnitus ist mit einem Belastungsbarometer vergleichbar: Er wird in ohnehin stressigen Phasen häufig als störender empfunden, da Stress die Hörverarbeitung durchlässiger für den Tinnitus macht. Das Lösen von Verspannungen im Kiefer- und Nackenbereich kann ebenfalls die Ohrgeräusche positiv beeinflussen. Zur geistigen und körperlichen Entspannung hilft vor allem Bewegung, weil hierdurch Stresshormone auf natürliche Weise abgebaut werden.

Aber auch gezielte Entspannungstechniken haben sich bewährt:

  • progressive Muskelrelaxation
  • autogenes Training
  • Yoga
  • Qigong

Finde heraus, welches Verfahren für Dich am besten ist und gönne Dir im Alltag ausreichende Ruhephasen. Nur so kannst Du den Teufelskreislauf von Stress und Tinnitus durchbrechen.

Tipp

Du vereinbarst einen Termin bei Deinem Arzt oder Psychotherapeuten vor Ort und sprichst ihn auf Kalmeda an. Alternativ kannst Du die Therapie bequem per Videosprechstunde, z.B. bei teleclinic.de, verschreiben lassen.